Mit was haben wir es hier zu tun? Mit einer altlinken Kampfschrift bekannter Machart, schwierig zu lesen, weit weg von den alltäglichen Erfahrungen? Mitnichten – dies ist ein Buch über Erfahrungen. Die Erfahrungen, die den kleinen Unterschied ausmachen. Nämlich ob man dazu gehört oder nicht, ob man sich die Dazugehörigkeit leisten kann. Dies ist ein Sammelband, der persönliche Erfahrungen von Autor:innen abbildet, die es in Teilen geschafft haben, ihren Armutserfahrungen zu entkommen, die aber in einer Zwischenwelt leben, d.h. weder da noch dort. Dieses nicht ankommen, zieht sich durch fast die gesamten Texte dieses Buches und macht es dadurch so authentisch. Sie sind voller Scham über die Herkunft, die nicht verleugnet werden soll, aber im Alltagsleben oft nicht passt. Über die Grenzen sozialen Aufstiegs, die in den letzten Jahrzenten immer enger gezogen worden sind. Natürlich sind die Autor:innen dieses Buches privilegiert, in dem Sinne, dass es ihnen auf literarische Weise gelingt, ihr widersprüchliches und schwieriges Leben im Kapitalismus gegenüber Dritten zu formulieren. Für die Leser:innen wird dadurch die Perspektive der Autor:innen bildhafter und emotional nachvollziehbar. Wie schnell in diesen erreichten, aber immer noch prekären Verhältnissen der Absturz droht zeigt die Ingeborg-Bachmann Preisträgerin und Mutter von drei Kindern Sharon Dodua Otoo in ihrem Beitrag. Durch den Lockdown 2020 brach ihr eine wichtige Einnahmequelle durch die fehlenden Lesereiseeinnahmen weg. Es gelingt ihr nicht, ihr erhebliches kulturelles Kapital in ökonomisches Kapital umzusetzen. Rassistische Ressentiments verstärken diesen Effekt noch. Ein wichtiges, notwendiges Buch, das Probleme benennt und Klassenstrukturen offenlegt, von denen viele linksliberale Kreise meinen sie wären schon überwunden.
Text: Ulf Engelmayer
Klasse und Kampf, geb, 20€
Ullstein Verlag, 978-3-546-10025-0