Zuhören oder scheitern – Pörksens Warnung an die Politik
Was wissen wir noch über den Missbrauchsskandal an der reformpädagogischen Odenwaldschule? Wie kommunizieren wir mit Freunden in der Ukraine? Wie kann wertschätzende Kommunikation in den Zeiten der sozialen Medien gelingen? Wie verhalten sich Kritiker im Silikonvalley zu dieser Thematik? Und: wie Umgehen mit der unbequemen Wahrheit der Klimakrise?
Bernhard Pörksen hat sich diesen Fragen in seinem Buch „Zuhören – Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ auf originelle Weise genähert. Immer mit einer sehr persönlichen Sicht auf die Dinge. Er hat mit dem Thema Zuhören gerungen und wäre fast mit dem Buch gescheitert, wie er auf einer bemerkenswerten Lesung gemeinsam mit Svenja Flasspöhler im Literarischen Zentrum in Göttingen zugab.
Zentrales Thema im Buch sind die Geschehnisse an der Odenwaldschule. Der massenhafte sexuelle Missbrauch durch eine Gruppe von Lehrkräften und dem schulischen Leiter Gerold Becker machen auch den Leser fassungslos. Was hat das Alles mit dem Thema „zuhören“ zu tun? Ganz einfach. Man hat den missbrauchten Schülern nicht zugehört, mehr noch man hat die Opfer-Schuld Frage umgedreht. Ein Kartell aus Pädagogen, Anhängern der Reformpädagogik und einflussreichen Medienleuten hat jahrelang eine Aufklärung durch Relativierungen, Verdrängung und Weghören verhindert. Erst eine neue Schulleiterin hat den Prozess der Aufklärung vorangetrieben und den Opfern zugehört. Für den Journalismus gilt laut Pörksen: eine immer neuauszutarierende Mischung aus Berührbarkeit, Offenheit und Härte immer um das Wissen um die Bequemlichkeit des menschlichen Geistes und die Gefahr allzu großer Nähe. Hier gelte es zudem Wahrnehmungsbarrieren und -blockaden zurückzudrängen.
Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen, legt mit „Zuhören – Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ ein eindringliches Plädoyer für die Rückbesinnung auf eine oft unterschätzte Fähigkeit vor: das wirkliche, aufmerksame, empathische Zuhören.
Das Buch ist klug strukturiert, sprachlich präzise und voller aktueller Bezüge – von der Talkshow bis zur politischen Debattenkultur. Pörksen argumentiert, dass Zuhören nicht nur eine höfliche Geste sei, sondern eine demokratische Grundkompetenz. Gerade in einer Zeit der Aufmerksamkeitsökonomie, des Empörungsklicks und der algorithmisch gefilterten Echokammern gewinnt seine These an Schärfe: Zuhören ist Widerstand gegen die Verrohung der Kommunikation.
Die Verbindung von wissenschaftlicher Reflexion, journalistischer Erfahrung und konkreten Beispielen. Pörksen bleibt nicht abstrakt – er zeigt, wie Zuhören misslingt, instrumentalisiert oder verhindert wird, aber auch, was es bewirken kann. Ein notwendiges Buch in einer kommunikationsgestörten Welt. Definitiv keine Wohlfühllektüre, sondern ein Weckruf für alle, die kommunizieren – beruflich wie privat.
Ein umfangreicher Anmerkungsteil schließt das Buch ab. Ein wichtiger Beitrag für:
– Alle, die im Dialog arbeiten
– Menschen, die wieder mehr verstehen als urteilen wollen
– Pflichtlektüre für Journalist*innen, Lehrer*innen, Mediator*innen, Politiker*innen
Bernhard Pörksen – Zuhören ist im Hanser Verlag erschienen und kostet als Hardcover Ausgabe 24 €
ISBN: 978-3-446-28138-7
Text: Ulf Engelmayer
Bewertung *****