Gute Kriminalliteratur sagt immer etwas über das Leben, über uns. Sie lotet den schmalen Grat aus, zwischen der Normalität und den plötzlichen Ereignissen, die ein Leben verändern und auf den Kopf stellen können. Welche Formen das annehmen kann zeigt Anne Goldmann in ihrem neuen Roman „Das größere Verbrechen“.
Theres, die Hauptakteurin in diesem fulminanten, nachklingenden Krimi, lebt in einer wohlgeordneten Mittelstandsidylle. Eine Ehe, in der man sich arrangiert hat, die Tochter fängt an ihre eigenen Wege zu gehen. Theres sucht Sinn in ehrenamtlicher Altenpflege. Das Verhältnis zu ihren Eltern ist belastet. Die wohlgeordnete Welt gerät völlig aus den Fugen, als sie eines Tages einen überraschenden Anruf erhält. Ihre Vergangenheit holt sie wieder ein.
Man merkt beim Lesen, dass die Autorin viel in ihrem Leben gesehen hat. Die Wienerin Anne Goldmann, geboren 1961, jobbte als Kellnerin, Küchenhilfe und Zimmermädchen, um sich die Ausbildung als Sozialarbeiterin zu finanzieren. Sie arbeitete in einer Justizvollzugsanstalt und betreut Straffällige nach der Haft. „Das größere Verbrechen“ ist ihr vierter Kriminalroman. Die Geschichte lässt den Leser nicht unberührt. Atmosphärisch dicht – und wahr – die Szenen im Altenheim. Jeder, der Angehörige in solchen Einrichtungen hat, wird dazu beim Lesen seine eigenen Bilder produzieren. Gerade weil es sich um eine alltägliche Geschichte handelt, geht einem das Geschehen nahe. Es gibt kein Entrinnen, erst recht nicht in einer Gesellschaft in der Empathie, Gemeinsinn und solidarisches Handeln antiquiert erscheinen.
Anne Goldmann zählt zu den raren Autorinnen, denen es gelingt, auf die stille, aber beunruhigende Weise Hand an die Verhältnisse zu legen.
Text: Ulf Engelmayer
Anne Goldmann – Das größere Verbrechen, TB, 13,00€
Ariadne Verlag, 978-3-86754-234-0