Der Manesse Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, neben der Bibliothek der Weltliteratur, moderne Klassiker wieder aufzulegen und in einer Neuübersetzung zu präsentieren. Jetzt Upton Sinclairs monumentalen Roman „Boston“, über die Geschichte von Sacco und Vanzetti. Auf fast 1000 Seiten entwirft Sinclair ein halbdokumentarisches Sittengemälde über die sozialen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Bindeglied in diesem Roman ist Cornelia Thornwell, Mitglied der Bostoner Upperclass. Nach dem Tod ihres Mannes, einem Industrietycoon und begnadetem politischen Strippenziehers, zieht sie sich angeekelt von ihrer Familie und der Bostoner Society aus dieser Gesellschaft zurück. Sie lernt auf der Suche nach einer Unterkunft den italienischen Einwanderer Vanzetti kennen. Fasziniert von seiner Persönlichkeit, werden sie schnell Freunde. So gerät Thornwell schnell in den Sog eines der größten Justizskandale der USA. Sacco und Vanzetti wurden 1920 in einer Kleinstadt in Massachusetts wegen Raubmord verhaftet, in einem fragwürdigen Prozess für schuldig befunden und 1927 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Wenn man die Gesellschaft von heute verstehen will, sollte man die Bücher der Vergangenheit lesen. Wem der Plot von „Boston“ anfänglich etwas konstruiert und unrealistisch erscheint, wird sich dem Verlauf der Ereignisse trotzdem nicht entziehen können. Parallelen zur aktuellen politischen Entwicklung lassen sich da schnell ziehen. Vanzettis holpriges Englisch, hier genial von Viola Siegemund übersetzt, erhöht noch die Authentizität dieses mitreißenden und eminent wichtigen Buches. Upton Sinclair zeigt wie Gesellschaftskritik geht: Genau hinsehen und schreiben was ist!
Text: Ulf Engelmayer
Upton Sinclair – Boston, in Leinen geb. mit Schutzumschlag, 42,-€
Manesse, 19.06.2017, 978-3-7175-2380-2