Auf den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen von Berlin wird in diesem Jahr nicht nur von der ewigen Frage beherrscht, welche Stars auf dem roten Teppich zu sehen sein werden. Wichtiger scheint zu sein, wer sie dort begrüßen wird. Der Vertrag mit dem jetzigen Festivaldirektor Dieter Kosslick endet 2019, seine Nachfolge soll bis Mitte dieses Jahres feststehen. Neuen Diskussionsstoff gab es nach einer Erklärung von 79 deutschen Regisseuren Anfang diesen Jahres die darin eine programmatische Erneuerung fordern.
Dieter Kosslick,seit Mai 2001 Direktor der Berlinale ist kein klassischer Vertreter des Filmbusiness. Ein studierter Kommunikationswissenschaftler, der als Referent des Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose erste Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erzielte. Nach einer kurzen Stipvpisite als Kuturredakeur bei der Monatszeitschrift Konkret begann er eine Tätigkeit in der Filmförderung Hamburg und danach in Nordrheinwestfalen. Im Jahr 2000 wurde er vom Land Berlin gebeten, die Leitung der Internationalen Filmfestspiele von Berlin zu übernehmen.
In den langen Jahren seither hat Kosslick da Festival eindrücklich und nachhaltig geprägt. Zum einen auf der organisatorischen Seite. Klare Strukturen und Regel für die 4000 Journalisten, weg vom Chaos der Vorjahre zum Versuch allen Berichterstattern faire Bedingungen zu garantieren. Gut geglückt auch der Einstieg in die digitale Welt, sei es im Kino, sei es bei der Vorbereitung auf die Berlinale mittels der genialen Berlinale App. Das Programm wurde massiv ausgeweitet, zahlreiche neue Sektionen und Spielstätten geschaffen. Der deutsche Film rückte mehr in den Mittelpunkt, nicht nur im Wettbewerb sondern auch beim Nachwuchs mit der Sektion „Perspektive deutsches Kino“. Größtes Verdienst von Dieter Kosslick war die Schaffung des Berlinale Campus, einem Treffpunkt und Arbeitsplatzes für den jungen internationalen Filmnachwuchs. Das größte Pfund mit dem Kosslick wuchern kann ist jedoch sein unglaubliches Kommunikationstalent. Menschen und Themen zusammenbringen, Neugier an den Dingen und an den Menschen, dies gepaart mit einer klaren Sicht der Dinge. Da bleibt nicht aus, dass man auch einmal Menschen auf die Füße tritt. Der sehr spezielle Kosslicksche Humor hatte ebenfalls nicht nur Anhänger. Diese Spassbremser (O-Ton Kosslick) erreichten wahrscheinlich auch, das die Präsenz des Festivaldirektors auf der Eröffnungsveranstaltung deutlich reduziert wurde. Die Folge: nachdem es dort zudem nicht einmal mehr musikalische Zwischentöne gibt ist diese Veranstaltung zur völligen Belanglosigkeit verkommen.
Dennoch: als langjähriger Teilnehmer und Beobachter dieses Festivals bemerkt man die langsame Erosion. Der Wettbewerb enthält oft mehr Fragezeichen als Begeisterung, das immer weiter ausufernde Programm mit Spielstätten in der ganzen Stadt macht eine Planung immer schwieriger, die Inhalte bestimmter Sektionen werden zum reinen Insiderprogramm. Aufreger Fehlanzeige, das Thema Popkultur und Film findet nicht mehr statt, von Genrefilmen ganz zu schweigen. Zudem stellt sich die Frage ob es wirklich sinnvoll ist wenn bestimmte Regisseure jedes Jahr auf dem Festival ihren neuen Film aufführen. Schnell wird da vom jeweiligen Sektionsleiter nicht mehr kuratiert sondern nur noch präsentiert. Das der Stillstand mittlerweile die Mannschaft um Kosslick erreicht hat ist deutlich zu spüren. Der langjährige Panorama Chef Wieland Speck ist nicht mehr dabei, die Sektionschefs gaben in diesem Jahr vor der Berlinale nur Videostatements ab, Kosslick selbst bestritt die völlig uninspirierte Pressekonferenz fast im Alleingang. Was bleibt ist das wichtigste: Die Berlinale ist das weltweit wichtigste A Festival mit Publikumsbeteiligung und zwar im relevanten sechstelligen Bereich. Dies weiter ausgebaut und mit persönlichem Einsatz und Begeisterung gefördert zu haben ist der größte bleibende demokratische Verdienst von Dieter Kosslick, nörgelde Regisseure hin oder her. Da kann uns Cannes oder Venedig ziemlich egal sein. Aber: in einer Zeit in der sich „etwas Großes und Unsicheres nähert“, in der sich die „Welt verändert, radikal und rasant“, so Klaus Brinkbäumer im neuen Spiegel, da reicht eine linksliberale kritische Haltung und Distanz zur Welt nicht mehr aus. Da braucht es auch im Kulturbereich mehr. Hoffentlich sieht das auch die Auswahlkommission für den neuen Festivaldirektor.
Ulf Engelmayer