Anna Mayr – Die Elenden

Ein mit 200 Seiten schmaler Band, der es aber in sich hat. Die Zeit Journalisten Anna Mayr wirft einen schonungslosen Blick auf die Gesellschaft der Abgehängten, der Unterprivilegierten, des Milieus, von dem man sich gern abgrenzt – den Armen. Um mit Victor Hugo zu sprechen: den Elenden. Mayr kennt aus eigener Lebenserfahrung, wie sich das anfühlt. Als Kind von zwei Langzeitarbeitslosen kennt sie genau die fehlende Teilhabe, die Abgrenzungsmechanismen, das Versagen des Bildungssystems. Die starken strukturellen Mühlen, die ohne persönliche Förderung nicht zu überwinden sind. Durch die leistungsorientierte Gesellschaft entsteht der Nimbus des persönlichen Scheiterns, die Kälte gegenüber den Ärmsten erschüttert. Das Buch gehört nicht in die Gruppe der Milieubetrachtungsbücher, der sogenannten Unterschichtsliteratur. Hier wird aus der eigenen Lebenserfahrung, der eigenen Betroffenheit, politisch analysiert, nach vorne gedacht. Auch wenn das manchmal etwas arg zu unsortiert rüberkommt. Dennoch ein wichtiges, unsentimentales Buch, das nicht unberührt lässt und dass sich die Mühe macht, Lösungsansätze zu skizieren, ausgelöst durch die Wut zur Veränderung. Man würde sich wünschen, dass in der öffentlichen Diskussion und damit sind ausdrücklich die öffentlich-rechtlichen Talkrunden gemeint, Autorinnen wie Anna Mayr mehr Aufmerksamkeit eingeräumt wird. Dieser Roman ist sicherlich eines der wichtigsten deutschen Bücher 2020.

Text: Ulf Engelmayer
Anna Mayr – Die Elenden, HC, 20€
Hanser Berlin, ISBN 978-3-446-26840-1

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