Manche dünnen Bücher haben zwischen dem Bucheinband mehr Spaß und Erkenntnisgewinn als 500 Seiten Wälzer. Alexandre Labruffe -Erkenntnisse eines Tankwarts gehört eindeutig in diese Kategorie. Erschienen in der formidablen S“lto Reihe des Wagenbach Verlags, gebunden in rotem Leinen.
Eine Tankstelle, nicht am Ende der Welt, sondern in Paris an der zentralen Ringautobahn. Also im Zentrum der fossilen Wirkungskette. Hier hat Beauvoire seinen Arbeitsplatz. Dieser Ort, ein Transitbereich, an dem Leute anonym und oft gesichtslos kurz innerhalten und dann weiterziehen, ist ein idealer Arbeitsplatz für den Titelhelden. Der Tag läuft in der Regel gleichförmig ab, mehr Kassen- als Tankwart, bleibt auch in den Erinnerungen der Reisenden nicht haften. Beauvoire hat sich in diesem Transitsystem hervorragend eingerichtet. Mit einem Freund verbringt er den Tag mit dem Damespiel, er organisiert illegale Ausstellungen im Verkaufsraum, die schon Mal in eine Party ausarten. Im Hintergrund laufen auf einem Bildschirm die Mad Max Filme. Die kurzen Begegnungen mit Menschen aller Couleur nötigen Beauvoire oft einige lakonische oder auch philosophische Kommentare ab: „Kunden ohne Benzin, Worte ohne Gesichter folgen aufeinander. Das tägliche Brot meines Tagesablaufs“. Dennoch durchbrechen seltsame Ereignisse seine tägliche Routine: er wird zum Vermittler geheimer Botschaften, mit seiner geheimnisvollen japanischen Stammkundin bahnt sich eine Liaison an. Aber alles bleibt irgendwie fragmentarisch.
Dieser Nicht Ort Tankstelle reizt förmlich zu anthropologischen Betrachtungen: „Als Ort des anonymen Konsums ist die Tanke das Sprungbrett aller Instinkte. Was ich am meisten verkaufe: Cola Zero, Kaugummis. Chips. Erotik- oder Automagazine… Im Grunde verkaufe ich ein bestimmtes Weltbild: eine Welt, die komplett an der Nadel hängt und deren wichtigster Dealer ich bin.“ Nach so einem Satz ist für den Rezensenten erstmal Schweigen angesagt.
Das Buch ist in kurzen bis kürzesten Absätzen geschrieben, eine Technik, die man aus den Romanen von Walter Kempowski kennt. Das erleichtert das Lesen, aber auch die Wiederfindung von bestimmten Textstellen. Und das ist garantiert: das Buch wieder in die Hand zu nehmen, um noch einmal etwas nachzulesen.
Alexandre Labruffe hat bisher vor allem für das Theater und das Kino gearbeitet. Erkenntnisse eines Tankwarts ist sein erster Roman.
Text: Ulf Engelmayer
Das Buch ist erschienen bei Wagenbach S“lto und kostet 22 €; ISBN 978-3-803113771