Jürgen Trittin – Alles muss anders bleiben – Eine politische Autobiografie

Wenn ein politisches Schwergewicht wie Jürgen Trittin seine Biografie schreibt, dann kann man schon etwas Besonderes erwarten. Und in der Tat: erinnerungspolitische Konfektionsware wird hier nicht geboten. Dies fängt schon mit der Struktur des Buchs an. Nicht eine lineare Erzählweise, in der Erinnerungen und Anekdoten aneinandergereiht werden. Mit mehr oder weniger Erkenntnisgewinn. Sondern es finden sich im Grunde im Buch vier Essays zu den Kernthemen Demokratie, Gleichheit, Ökologie und Internationales. Trittin nimmt sich diese Schwerpunkte vor dem Hintergrund seiner fünfzigjährigen politischen Erfahrung vor. Ein Pluspunkt dieser langen Erfahrung ist die präzise Einordnung von politischen Entwicklungen. Besonders deutlich wird dies im Abschnitt Demokratie. Hier schildert Trittin seine politischen Anfänge, die Häuserkämpfe in Göttingen, das Bemühen um selbstorganisierte Strukturen. Er lernt auch, dass ein staatliches Gewaltmonopol seine Vorteile hat. Im Kapitel über ökologische Fragen nimmt das Thema Ausstieg aus der Atomenergie und Einstieg in eine nachhaltige Energiepolitik einen breiten Raum ein. Es wird deutlich, wie komplex und aufwendig das Ringen um einen tragfähigen Kompromiss gewesen ist. Insbesondere die fossile Lobby und die Energiegroßkonzerne sträubten sich Jahrzehnte gegen strukturelle Veränderungen. Wer sich mit mächtigen Interessengruppen anlegt, der muss mit persönlichen Angriffen rechnen. Eine Erfahrung, die Trittin zur Genüge kennt. Politik in einer Demokratie ist das Bohren dicker Bretter. Zudem muss man erkennen können, wann man durchgebohrt hat, sprich wann der Kompromiss auf dem Tisch liegt. Ein Gespür, auf das sich der Autor in seinem Leben oft verlassen konnte. Das Buch zeigt auch die Mühsal der politischen Etappe. Endlose Sitzungen, sehr detaillierte Fachkompetenz und umfangreiches Wissen und die persönliche Zähigkeit, Dinge zu einem Erfolg zu führen. Trittin hat in seinem Leben erfahren müssen, dass vermeintlich gute Dinge oft über die Zeit einen repressiven Charakter bekommen. Seine Lebenserfahrung dazu ist: immer auch eine kritische Distanz einzunehmen.  Auch wenn man etwas mehr „Gossip“ erwartet hätte und die Schilderungen zum Atomausstieg zu detailverliebt und für die Leser*innen schwer nachvollziehbar sind, Jürgen Trittins Autobiografie ist ein gutes Buch über wichtige Meilensteine in der deutschen Politik und zeigt einen Politiker, der seinen humanen Grundwerten treu geblieben ist.

Jürgen Trittin – Alles muss anders bleiben ist erschienen bei Droemer und kostet 25€. ISBN 978-3-426-44913-4

Text: Ulf Engelmayer
Bewertung ****

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