Ferdinand von Schirach gehört zu den erfolgreichsten Autoren in Deutschland. Dem Juristen und Schriftsteller ist es gelungen, oft anwaltliche Themen in fesselnde Literatur umzusetzen. Themen wie Schuld und Sühne ziehen sich durch das Werk Schirachs. Er glänzt durch eine schnörkellose, mitunter lakonische Sprache und sehr genauer Beobachtung menschlicher Verhaltensweisen. Dies am besten aus der Distanz. Genau wie der Titelheld aus seinem neuen Buch „Regen“. Ein Autor – ein veröffentlichter Gedichtband in 17 Jahren – der gegen seinen Willen zum Schöffen eines Strafprozesses berufen wird. Nach einer sehr originellen Frage an den Angeklagten stellt die Verteidigung einen Antrag auf Befangenheit. Nach dem ersten Verhandlungstag sitzt er, durchnässt vom Regen in einer Bar und sinniert über sein Leben und sein Scheitern. Da wird aus dem Schöffen schnell der Universalgelehrte, es geht um griechische Architektur, deutsche Maler und Beninbronzen
„Regen“ ist ein Theaterstück, performt vom Autor selbst in einer ausgedehnten Tournee quer durch den deutschsprachigen Raum. Auch beim diesjährigen Literaturherbst füllte er die hiesige Lokhalle. Nur 50 Seiten Umfang hat das Traktat „Regen“, zudem noch in altersgerechter Großschrift. Ergänzt wird der Band um ein aufschlussreiches Interview aus der Süddeutschen Zeitung. Zu wenig für 20 € denkt da mancher. Dennoch: wer Sätze für die Ewigkeit mag, wird dieses Buch lieben und immer wieder zur Hand nehmen. Zudem erfährt man viel über die Person von Schirach. Ein Solitär, zweifellos clever auch in der Selbstvermarktung. Aber jemand, der sich den gängigen Regeln des Literaturgeschäfts entzieht. So auch in Göttingen: Kein Livestream, keine Fotos von der Lesung in der Lokhalle. Es bleibt allein die persönliche Erinnerung an einen großen Auftritt.
Text: Ulf Engelmayer
Regen von Ferdinand von Schirach ist erschienen beim Luchterhand Verlag und kostet 20 €.
ISBN: 978-3-630-87738-9
Bewertung ****