Uwe Wittstock – Marseille 1940

Der Journalist und Autor hat mit „Marseille 1940“ ein bewegendes Buch über die Geschichte intellektueller Migranten in Südfrankreich geschrieben. In der von Deutschen Militärs unbesetzten Zone von Vichy bis Marseille, von Pau bis Menton, haben sich tausende von Flüchtlingen aus dem deutschsprachigen Raum versammelt. Sie alle hoffen, Frankreich in Richtung Portugal verlassen zu können, oder auf anderen Wegen in die Freiheit zu kommen. Die unbesetzte Zone wird verwaltet vom sogenannten Vichy Regime unter dem Autokraten Marshal Petain. Auch wenn dieser Teil Frankreichs von den deutschen nicht besetzt ist, gibt es doch eine enge Kooperation mit den Sicherheitsdiensten der Nazis. In Marseille ist mittlerweile unter dem amerikanischen Journalisten Varian Fry eine US-Hilfsorganisation tätig, um Wege zu finden, deutsche Intellektuelle außer Landes zu bringen. Ganz oben auf der Liste steht der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der in einem französischen Internierungslager gefangen ist. Die Stadt Marseille wird zum Mittelpunkt aller Fluchtbemühungen. Varian Fray und seine Mitstreiter riskieren oft ihr Leben, um Flüchtlinge über die spanische Grenze zu bringen. Nicht alle schaffen es, manche geraten in deutsche Gefangenschaft oder nehmen sich das Leben. So wie der Schriftsteller Walter Benjamin, dem es aber vorher gelingt, Hannah Arendt seinen letzten Essay zu übergeben, bevor er zur Flucht aufbricht. Viele Namen und Schicksale nehmen in diesem Buch Gestalt für die Leser*innen an. Anna Seghers, die mit ihren Kindern zu Fuß von Paris in die besetzte Zone flieht. Heinrich Mann, der in Nizza Zuflucht gefunden hat. Der österreichische Schriftsteller Franz Werfel und seine Frau Alma Mahler-Werfel, die im Gepäck wertvolle Originalpartituren von Gustav Mahler und Anton Bruckner mit sich führen. Im Mittelpunkt des Buchs steht die Geschichte von Varian Fry. Sein gut organisiertes Netzwerk in Marseille schaffte es, über 2000 Menschen vor den Nationalsozialisten zu retten. Über seine Organisation, das Emergency Rescue Committee (ERC) erhielt er finanzielle Mittel und Listen von Personen, denen er eine Ausreise ermöglichen sollte. Aufgrund der limitierten Ressoursen und den bürokratischen Hürden für eine schnelle Flucht in die Vereinigten Staaten, blieben Konflikte mit seinen Auftraggebern nicht aus.  Nach seiner Rückkehr in die USA konnte er dort nicht mehr richtig Fuß fassen und geriet zu seinen Lebenszeiten schnell in Vergessenheit. Erst posthum wurde an ihn in angemessener Weise erinnert. In Berlin Mitte wurde eine Straße nach ihm benannt, 1994 wurde Varian Fry bei den „Gerechten unter den Völkern“ in Israels Holocaust-Mahnmal Yad Vashem aufgenommen. Uwe Wittstocks Buch hat ihn jetzt aus dem Vergessen geholt und ihm ein literarisches Denkmal gesetzt. Ihm und vielen anderen berühmten Migrant*innen dieser Jahre in Frankreich. „Marseille 1940“ ist ein atmosphärisch   dichtes Buch, dass sehr gelungen diese vielen Geschichten und auch Anekdoten zu einem Handlungsstrang verbindet und ein sehr lebendiges Bild dieser Zeit zeichnet.  Viele teilweise unglaubliche Schicksale tun sich auf. Wie man versuchte auch in dieser Zeit ein intellektuelles Leben aufrecht zu erhalten, zeigt die Geschichte der Migrantengemeinschaft in der „Villa Air Bel“ in Marseille.
Das Buch von Uwe Wittstock steht nicht ohne Grund auf der Spiegel Bestsellerliste Ein Muss für jeden Literaturliebhaber. Es ist auch eine Warnung, Verhältnisse wie damals niemals wieder zuzulassen.


Text: Ulf Engelmayer
Bewertung 5*
C.H.Beck,  ISBN 978-3-406-81490-7, HC, 26€

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