Die Bearbeitung und Bewältigung kolonialer Vergangenheit ist erst in den vergangenen Jahren ein Thema in der breiteren Öffentlichkeit geworden. Ein erster Ansatz ist oft der kritische Umgang mit lokalen Gedenkstätten oder Straßennamen. Umfassende Analysen, sogar Berichte von Zeitzeugen finden sich eher selten. Umso höher ist das Werk des Belgiers David van Reybrouck einzuschätzen, der sich die niederländische Kolonialgeschichte in Indonesien vorgenommen hat. „Revolusi – Indonesien und die Entstehung der modernen Welt“ hat in den Niederlanden ein erhebliches Aufsehen erregt. Vorwürfe an Reybrouck, er möge sich bitte um sein eigenes Land kümmern. Zeugen von kompletter Unkenntnis über den Autor. Dieser hat mit seinem Buch Kongo – Eine Geschichte ein Standardwerk über den belgischen Kolonialismus vorgelegt. Reybrouck, Journalist, Archäologe und Historiker nähert sich seinem entsprechenden Thema mit äußerster Akribie und höchstem Fachwissen. Ein Hilfsmittel sind ausführliche Interviews mit Zeitzeugen. Der hauptsächlich behandelte Zeitraum der kolonialen Geschichte Indonesiens umfasst die Jahre 1914 – 1950. Für die Leser überraschend ist die Haltung der Niederlande nach dem zweiten Weltkrieg. Der Glaube, man könne nach der japanischen Niederlage in Indonesien alte imperiale Besitzansprüche wieder restaurieren. Reybrouck zeigt ein andere Niederlande, als wir es kennen. Vom königlichen Beharren auf koloniale teilhabe beherrscht, koste es was es wolle. Das Profitstreben der Gesellschaften, die von dem indonesischen Gewürz- und Rohstoffreichtum ihren Vorteil ziehen. Die zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen lassen die verschiedenen Zeitepochen sehr lebhaft erscheinen. Die letzten Jahre des Kolonialregimes vor dem Zweiten Weltkrieg, die nachfolgende japanische Okkupation. Die bewegten Jahre nach dem zweiten Weltkrieg mit amerikanischer, britischer und niederländischer Besetzung. Wie stark die Vorbildfunktion für andere antikoloniale Kämpfe insbesondere in Afrika war, zeigt die detailliert dargestellte Geschichte der indonesischen Freiheitsbewegung und ihre unterschiedlichen politischen und religiösen Fraktionen. „Revolusi“ ist nebenbei auch eine Geschichte über illegitime Gewalt im Krieg. Nämlich zufällige, strukturell bedingte und systematische Gewalt. Oft leichtfertig als Exzesse bezeichnet und im kolonialen Mutterland relativiert. Die Bedeutung dieses Buchs ist nicht hoch genug einzuschätzen. Es bringt uns die blutige Entstehungsgeschichte Indonesiens näher und es zeigt die koloniale Rolle der Niederlande detailliert. Für die Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit leistet das Buch wertvolle Dienste. Aktuelle politische Entwicklungen in den Niederlanden passen dazu gut ins Bild.
Aufgrund seiner zahlreichen Anmerkungen und Quellennachweisen darf das Buch als Standardwerk über den niederländischen Kolonialismus und das „Nationbuilding“ von Indonesien gelten.
By The Way: Eine Diskussion über dieses Buch im Rahmen der 50. Documenta hätte viel zur Klärung, zum Verständnis der indonesischen Sicht beigetragen.
Ein unverzichtbares Buch für alle Leser, die sich für die bis heute anhaltenden Auswirkungen des europäischen Kolonialismus interessieren. Das Buch „Kongo Eine Geschichte“ liegt schon auf dem Nachttisch.
Text: Ulf Engelmayer
David Van Reybrouck – Revolusi, HV, 34€
Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-328-60222-4