In den Zeiten des Lagerdenkens und der politischen Kategorisierungen haben es unabhängige Geister schwer Gehör zu finden. Erst recht, wenn sie beruflich als Chefredakteur der Weltgruppe von Springer verortet sind. Die Welt galt nie als Hort origineller, progressiver Ideen, sondern als Sprachrohr der deutschnationalen Stimmen in diesem Land. Poschardt hat in dem konservativen Mief frischen Wind hereingebracht. Man muss ihn trotzdem nicht mögen, sollte sich aber mit seinem Buch „Mündig“ intensiv beschäftigen. Der im Vorwort vorangestellten Begriffsbestimmung des Soziologen Armin Nassehi ist nur zuzustimmen:
„Mündigkeit wäre die Fähigkeit, sich andere Unterscheidungen vorzustellen als die, die ohnehin erwartet werden. Es wäre die Fähigkeit, Erwartungen zu enttäuschen.“
Angesichts der rechten Filterblasen und der linken argumentativen Verkümmerung und alleinigen Beschäftigung mit Identitätspolitik, ein Ansatz, der diskussionswürdig ist. Poschardt nimmt sich gleich die ganze gesellschaftliche Bandbreite vor: Sein Rundumschlag bzw. sein Plädoyer für den mündigen Bürger umfasst Konsumenten, Unternehmer, Liberale, Männer, Frauen, Künstler, Mediennutzer, Pädagogen. Dies funktioniert nicht ohne hartes Angehen:
„Die Mittelschicht verknöchert in ihren Statusnischen und bescheidenen Hobbyhedonismen.“, so Poschardt. Ebenso kritisiert er „die neue moralische Gängelung insbesondere einfacher Lebensläufe durch die Mittelschichtslinke.
Etwas zu dünn geraten ist dem bekennenden Porschefahrer Poschardt das Kapitel über den mündigen Mann. Dennoch ein Buch das anregt, auch zum Widerspruch. Es geht in „Mündig“ um den Abbau von Denkregulierungen – so um Nachwort Peter Unfried. Ein wichtiger Ansatz in der heutigen Zeit.
Text: Ulf Engelmayer
Ulf Poschardt – Mündig, HC, 20€
Klett-Cotta, 978-3-608-98244-2