Die Lust am Streit, an der Kontroverse, am Diskurs gehört zurzeit nicht zu den Megatrends. Eher das Gegenteil, man verharrt in seiner Blase, in seiner Echokammer. Selbstvergewisserung ist angesagt, im Zweifel gegen den Zweifel, gegen neue Sichtweisen. Nicht so im neuen Buch von Svenja Flaßpöhler „Sensibel – Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“. Die streitlustige promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins hat sich das heikle Thema Sensibilität vorgenommen. Und stellt es in einen Kontext zu Resilienz / Widerstandskraft. Dies ist dennoch kein Buch zur oder über Identitätspolitik. Flaßpöhler holt weiter aus und spannt einen großen Bogen. Von Friedrich Nietsche und Ernst Jünger über Alexis de Tocqueville bis hin zu Judith Butler, Jaques Derrida, Michel Foucault und Paul Valéry. Sensibilität wird dialektisch unter die Lupe genommen und auf Nebenwirkungen überprüft. Wie so etwas aussehen kann, zeigt die Autorin in einem fiktiven Streitgespräch zwischen Nietzsche und Levinas. Man muss es deutlich aussprechen: das Buch ist keine Handlungsanweisung, Lebenshilfe im Umgang mit schwierigen aktuellen Themen. Es ist eher eine Standortbestimmung, ein erster Versuch zu einer neuen Streitkultur. „Sensible Resilienz“ so Flaßpöhlers Ansatz. Denn: „Statische Systeme sind instabil, weil sie nicht gebaut sind für außergewöhnliche Vorkommnisse. Ihnen fehlt die Dynamik, die Bewegungs- und Reaktionsmöglichkeit. Das Gegenteil von statischen Systemen sind antifragile Systeme. Sie sind offen für das, was widerfährt“, so die Autorin. Das Buch von Svenja Flaßpöhler wird nicht jedem gefallen. Und das ist gut so – denn die Befähigung zum selbstständigen Denken und Einordnen ist ein anstrengender Prozess.
Text:Ulf Engelmayer
Svenja Flasspöhler – Sensibel, HC, 20€
Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-98335-7