Wie ist das heute mit 27 Jahren? Auf jeden Fall erscheint Sophie Passmann ein Fehler zu sein, mit 27 Jahren abzutreten und als ewige Ikone in den Erinnerungen weiterzuleben, siehe Jimi Hendrix und Janis Joplin. Respekt erstmal, dass eine heutige 27-jährige mit diesen Namen überhaupt etwas anfangen kann. Wir sind jetzt schon im Prolog des neuen Buchs von Sophie Passmann „Komplett Gänsehaut“. Zu ihrer Person: Passmann ist Autorin, Radio Moderatorin, Poetry Slammerin und gehört zur Gruppe der neuen „respektlosen“ Feministen. Mit ihrem Buch „Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch“, hat sie sich nicht nur Freunde gemacht. In „Komplett Gänsehaut“ führt sie nun ihr eigenes Milieu vor – das satte, linksliberale, langweilige Bürgertum in den attraktiven urbanen Wohnvierteln in „ekelhaft hellen Altbauwohnungen mit entsprechendem Interieur, bzw. der kreierten Leere des Raums.“ Man kann sie sich gut vorstellen, die Partys in der großen geräumigen Küche, bei Weißwein und Risotto. Und den immer gleichen, erwartbar uninspirierten Gesprächen. „Das Bürgertum ist fürchterlich subtil, die meisten Ressentiments werden nie angesprochen, sondern nur angedeutet, mit hochgezogenen Augenbrauen oder überraschten Nachfragen auf Stehempfängen“, schreibt Passmann. Überhaupt, dass ganze Buch ist voll von zitierbaren Sätzen – und die sind manchmal eine Seite lang. Hier hat jemand genau in sein Milieu geschaut, präzise beobachtet und die richtigen Fragen gestellt. Tobias Becker vom Spiegel ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er meint, dass dieses Buch einen Regalmeter soziologischer Gegenwartsliteratur ersetzt. Witzig und schmerzhaft – zwei Pole dieser 173 Seiten langen Tirade, schmerzhaft weil man auch einiges an sich selbst wiedererkennt.
Kein Buch fürs Regal, sondern für den Tisch, zum immer wieder nach- und querlesen. Gut gemacht Frau Passmann!
Text: Ulf Engelmayer
Sophie Passmann – Komplett Gänsehaut –, HC, 19€
Kiepenheuer & Witsch, 978-3-462-05361-6