Wenn die alten Meister über die Jugend schreiben, kommt in der Regel etwas Originelles und Nachdenkliches dabei raus. Nun hat der amerikanische Autor Paul Auster – mittlerweile in 70. Lebensjahr – dieses Thema noch einmal deutlich erweitert. Er erkundet in seinem 1200 Seiten Roman „4321“, welche Schicksalswege ein Leben hätte gehen können wenn… „4 3 2 1“ beantwortet dieses „wenn“ mit vier möglichen Versionen, oder besser gesagt Variationen des Lebens von Archibald Ferguson, kurz Archie genannt.
Es ist die Geschichte einer osteuropäischen, jüdischen Auswanderer Familie ihren Weg in der neuen amerikanischen Heimat sucht. Der Vater von Archie betreibt ein Kaufhaus für technische Geräte und versucht für sich und seine Familie den amerikanischen Traum von Wohlstand und Aufstieg zu realisieren. Kleine Abweichungen im Leben der Protagonisten führen dazu, dass die Zukunft für Archie anders verläuft. Paul Auster passt diese Brüche unmerklich in die Texte ein. Daher wird der Lesefluss trotz Perspektivenwechsel nicht gehemmt. Zudem Treiben große geschichtliche Einschnitte die Handlung voran: Kennedys Präsidentschaft, der Vietnam Krieg, die Studentenrevolte. Dazu kommen die Ikonen der amerikanischen Pop- und Filmkultur der fünfziger Jahre, der kulturelle Aufbruch und die Revolte in den Sechzigern und natürlich die uramerikanischen Kultsportarten Baseball und Football. Das Buch entwickelt geradezu einen Sog der zum Weiterlesen animiert. Aber der Leser muss diesem Reiz nicht bis zur letzten Konsequenz folgen. Dies ist kein Buch das um jeden Preis in einem Zug gelesen werden muss. Es kann als kontinuierlicher Begleiter genossen werden. Das ist viel in der heutigen schnelllebigen Zeit. Zudem der haptische Genuss. Die gute Verarbeitung und das glatte angenehme Papier trägt zum Wohlbefinden des Lesers bei. Wer dicke Bücher liebt, wird hier mit dem Besten Buch von Paul Auster bedient.
Text: Ulf Engelmayer
Paul Auster – 4 3 2 1, HC, 1200 S., 29,95 € rowohlt, Jan 2017