Über kaum einen zeitgenössischen Autor gehen die Meinungen so auseinander wie über den französischen Schriftsteller Michel Houellebecq. Das ist kein Wunder. Er ist hochprovokant, definitiv politisch unkorrekt und gilt als Frauenhasser. Ihm eher freundlich zugeneigte Zeitgenossen würden ihn zumindest als verschroben bezeichnen. Wer die spannungsgeladene Folge „Durch die Nacht mit Hoellebecq und dem katalanischen Opernregisseur Calixto Bieito gesehen hat, kann das nur bestätigen. Aber seine Bücher greifen aktuelle Befindlichkeiten auf und zeichnen oft ein sehr genaues Bild der französischen Gesellschaft.
Jetzt „Serotonin“, einen Roman über den 46jährigen Florent-Claude Labrouste.Der schwer Depressive wird mit einem Medikament namens „Captorix“ behandelt. Einebelastende Nebenwirkung ist der Verlust der Libido. Frustriert von seinen Beziehungen, beschließt er alle engen sozialen Brücken abzubrechen und in ein Hotelzimmer zu ziehen. Dort räsoniert er über sein Leben, verfällt in völlige Apathie und Selbstmitleid. Erst durch den Besuch bei seinem alten Studienfreund Aymeric, der in der Landwirtschaft zu überleben versucht, wird ihm klar, dass auch sein Beruf im Landwirtschaftsministerium wenig mit dem realen Leben zu tun hat.
Beim Lesen passiert es, dass Labrousts lamentieren, seine Frauenklischees und sein Endzeitgerede nerven. Das ändert sich in der zweiten Hälfte des Romans. Seine eindrücklichen Schilderungen über den wirtschaftlichen Absturz der Provinz und die innere Verfasstheit ihrer Bewohner, ist bedrückend intensiv und erklärt wahrscheinlich die aktuellen Entwicklungen in Frankreich. Damit gelingt dem Provokateur Houllebecq wieder ein pointiertes Sittenbild unserer Jetztzeit. Mit einer Ausschüttung des Glückshormons Serotonin ist beim Leser allerdings nicht zu rechnen.
Text: Ulf Engelmayer
Michel Houellebecq – Serotonin, HC, 24€
Dumont, 978-3-8321-8388-2