Verlagsgründungen in der heutigen Zeit sind nicht auf der Tagesordnung. Umso überraschender eine Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, versunkene Buchschätze einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das kulturelle Gedächtnis – so der Name dieses ambitionierten Verlagsprojekts – wird getragen von mehreren Gesellschaften und stillen Teilhabern. Der Verlag befördert mit acht Titeln pro Jahr wichtige Autoren und Texte ans Licht, die zudem einen aktuellen Bezug zur Gegenwart haben.
Cecilia. Anarchie und Freie Liebe von Giovanni Rossi ist so ein Buch. Eigentlich eine Textsammlung des italienischen Agronoms, Anarchisten und Veterinärs. Zusammen mit Genossen gründet er im tiefsten brasilianischen Hinterland die Siedlung Cecilia. Rossis Bericht ist völlig frei von Idealismus. Er schreibt was er erlebt hat. Die riesigen Anfangsschwierigkeiten in der Urbarmachung der Siedlung, die Entbehrungen, die fehlende soziale Organisation, die Versuche sich von Herrschaft und patriarchalen Hierarchien zu befreien. Das Projekt scheitert. Dennoch denkt Rossi die Utopie weiter. Er entwickelt einen Fragebogen, der sich mit dem Thema der Geschlechterverhältnisse befasst und entwickelt im 3. Teil des Buches eine Phantasie über das Brasilien im 20. Jahrhundert.
Wohltuend ist der Optimismus Rossis, auch wenn er die geringe Zahl von energischen und rebellischen Charakteren Ende des 19. Jahrhunderts kritisiert. Seine Maxime „Tu was dir gefällt“, gilt natürlich gerade im 21. Jahrhundert. Spannend zu lesen, führt zu originellen Einsichten und macht Lust auf mehr versunkene Literatur. Das Buch kommt natürlich in bibliophiler Aufmachung daher, ein Lesebändchen wäre schön. Originell und noch nie so gesehen sind die Fußnoten, die dem Leser der Jetztzeit Namen und Zusammenhänge erklären. Man wünscht diesem Verlagsprojekt einen dauerhaften und nachhaltigen Erfolg.
Text: Ulf Engelmayer
Giovanni Rossi – Cecilia. Anarchie und Freie Liebe, geb., 224S., 12€
Verlag Das kulturelle Gedächtnis, 978-3-946990-18-5