Edgar Selge gehört zu den bedeutendsten und bekanntesten Schauspielern im deutschsprachigen Bereich. Jetzt hat er sich auf künstlerisches Neuland begeben: „Hast Du uns endlich gefunden“ ist sein literarisches Debüt. Ein autobiographischer Roman über die Familie Selge. Betrachtet aus der Sicht des Kindes Edgar. Und diese Sicht hat es in sich. Da ist der Vater, Gefängnisdirektor und Freund der schönen musikalischen Künste. Fünf Söhne hat ihm seine Frau geboren, leider spielt sie zu schlecht Geige, um an den heimischen Konzerten teilnehmen zu dürfen. Diese finden regelmäßig im auf dem Gefängnisgelände liegenden Heim der Familie statt, eingeladene Jugendstrafgefangene inklusiv. Eine gutbürgerliche Fassade, wenn nicht dahinter dunkle Geheimnisse und Traumata lauern würden. Der im Kern despotische Vater, dessen Vergangenheit nur zufällig aus einem Buch herausfällt. Die Mutter, die sich eigentlich ein anderes Leben vorgestellt hat. Familiäre Katastrophen die drei Söhne treffen. Alles von Edgar Selge auf eine ungewöhnliche und intensive Weise erzählt. Man muss sehr aufpassen, schon ein Nebensatz kann eine schockierende Wahrheit beinhalten, vom Autor eher beiläufig erwähnt. Es ist die Geschichte einer Nachkriegsfamilie, deren Kinder die Frage beantworten müssen, welche Verantwortung die Eltern im dritten Reich und danach getragen haben. Ein wahrhaftiges Buch, dass dem Autor und den Leser:innen einiges abverlangt. Das Buch zeichnet sich durch Witz und Situationskomik aus. Den älteren Lesern werden die Diskussionen und Auseinandersetzungen am abendlichen Esstisch wohl bekannt vorkommen. Ein Buch, dass zu Recht weit oben auf der Bestsellerliste steht. Edgar Selge ist ein großes persönliches Risiko eingegangen, es hat sich gelohnt. Der Debütroman des Jahres 2021!
Text:Ulf Engelmayer
Edgar Selge – Hast Du uns endlich gefunden, geb, 24€
Rowohlt, ISBN 978-3-498-00122-3