Er ist wohl Deutschlands bekanntester Kolumnist und hat jetzt ein Buch geschrieben dessen Titel schon als Kommentar zur aktuellen Situation im Land zu verstehen ist: „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“. Klein im Umfang und Format, doch groß und notwendig im Inhalt. Es erscheint wohltuend, dass jemand in Zeiten der Hetzte, der Lüge und Niedertracht, diesen schon etwas angestaubten Begriff aus dem Regal der Tugenden holt und mit neuem Leben füllt. Die alltägliche Verrohung im Umgang trifft nicht nur Politiker, sondern ist im öffentlichen Raum spürbar, mittlerweile Alltag. Dies trifft Busfahrer, Schaffner, Polizisten, Sanitäter, Menschen in der Einkaufsschlange. Solidarität, wenn überhaupt, gilt nur noch gegenüber dem Gleichgesinnten, dem Facebook Freund in der Filterblase. Axel Hacke nähert sich dem Begriff Anstand in einem fiktiven Gespräch mit einem Freund. Dieser meint: „Auf eine Art hat es ja auch was Gutes, dass man heutzutage über Facebook zum Beispiel, auch mal eine nähere Information bekommt über den hohen Prozentsatz an Verwirrten, Verstörten, Chaoten, Spinnern, Narren, Idioten, Volldeppen und Obskuranten in unserer Gesellschaft. Man hat das ja früher gar nicht so gewusst, und dann vergisst man es auch immer wieder: Wo waren bloß all diese Leute, bevor es das Internet gab?“ Für Hacke sind Feindbilder nicht die Optionen, ebenso die Verweigerung eines Dialogs – wie immer er auch aussieht. Er hält es mit Norbert Elias: der Prozess der Zivilisation hört nie auf, man steht immer vor neuen Herausforderungen. Dieses kleine aber feine Buch ist ein Aufruf an den gesunden Menschenverstand und ein Erinnern an die Grundlagen des Anstands: den Versuch zu verstehen, Respekt, Anerkennung und Rücksicht gegenüber den Mitmenschen. Dieses Buch gehört auf jeden Nachttisch.
Text: Ulf Engelmayer
Axel Hacke – Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen, HC, 18€ Kunstmann Verlag, 978-3-95614-200-0