Alexander Kluge ist ein Phänomen. Der deutsche Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller, Drehbuchautor, Philosoph und Rechtsanwalt, ist mit Abstand einer der originellsten deutschen Intellektuellen. Es scheint, dass ihm ein Universum nicht ausreicht. Neben seinem beachtlichen filmischen Werk ist er unermüdlich als Buchautor tätig. Jetzt mit einer beeindruckenden Text- und Bildsammlung zum Thema Russland. Gleich zu Beginn der Leitsatz: „Von Neugierde, nicht aus einem Sollen (einer Tugendlehre), kommt der Wissensdurst. Und er stammt aus dem Erzählen. Ich fange an zu erzählen, noch bevor ich etwas weiß“. Mittels Textfragmenten durchleuchtet Kluge unser Verhältnis und unsere verbundene Geschichte zu Russland. Hier geht es nicht um chronologische Abläufe, sondern die unterschiedlichsten Aspekte fügen sich zu einem Ganzen, einer neuen Sicht auf das uns weitgehend fremd gebliebene Russland. Wir lesen über die russische Avantgarde nach der Revolution, Napoleon in Russland, die Perestroika, den Theologen und Elektrofachmann Pawel Florenskij, das russische Kino, Kant, Kafka, Blitzkrieg und russische Raumfahrt. Breiten Raum nehmen die Themen Zirkus und Licht ein. Aus diesen scheinbar zusammenhanglosen Texten bilden sich beim Lesen schnell individuelle Assoziationsketten, die zu neuen Einsichten führen. Oder zu neuen Fragen. Ein Buch, auf das man sich als Leser einlassen muss, im hinteren Teil versehen mit zahlreichen QR Codes, die auf zahlreiche Filmproduktionen des Autors verweisen. Mein persönlicher Favorit ist „Graffitis im Reichstag 1945“. Die Entdeckungen in diesem Buch enden nicht mit dem Durchlesen. Im Gegenteil, sie machen Lust auf mehr.
Text: Ulf Engelmayer
Alexander Kluge – Russland-Kontainer, HC, 34€
Surkamp Verlag, 978-3-518-42892-4