Auch wenn der Begriff „Hamburger Schule“ einen Wikipedia Eintrag hat, dürfte er vielen Menschen nicht allzu viel sagen. Natürlich: der Popnerd, der Connaisseur und Kenner von undergroundigen Klängen aus deutscher Produktion, der weis Bescheid. Jetzt hat sich Jonas Engelmann, studierter Literaturwissenschaftler und freier Journalist darangemacht, seine Erkenntnis über das Phänomen „Hamburger Schule“ in Buchform zu bringen. „Der Text ist meine Party“ heißt das Werk, erschienen in Kooperation mit Tapete Records im Mainzer Ventil Verlag.
Die Zuschreibung „Hamburger Schule“ ist nicht wirklich konkret. Sie beschreibt die Geschichte von Hamburger Bands ab dem Ende der 80er Jahre. Sie verband unterschiedliche Musikrichtungen wie Punk, Grunge, Noise, Funpogo und Indierock. Dazu entwickelten sie, auch aus Kritik an der neuen deutschen Welle, einen speziellen Sprachduktus, oft kombiniert mit systemkritischen Texten. Ein gehöriger Anteil von Selbstreferentialität, bzw. Ichbezogenheit war da mit im Spiel. Hinter der Entstehung des Begriffs „Hamburger Schule“ wird der TAZ-Journalist Thomas Groß vermutet. Ein Begriff, der nicht auf große Gegenliebe bei den betroffenen Bands stieß. Jonas Engelmann hat sich in seinem Buch die Geschichte der Hamburger Schule vorgenommen und alles aufgedröselt. Und das mit großer Begeisterung. Zahllose Protagonisten tauchen auf und erzählen aus der Zeit. Mitunter unbekannte Bands, Querverbindungen werden sichtbar, man erkennt die damaligen Meinungsmacher. Trotz der Vielfalt war die Szene überschaubar, St. Pauli das Epizentrum. Wenige Kneipen waren die entscheidenden Orte der Ereignisse. Bestimmte Label, wie L àge dór um die Gründer Pascal Fuhlbrügge und Carol von Rautenkranz sowie Alfred Hilsberg und sein Label What`s So Funny About waren buchstäblich tonangebend. Jonas Engelmann zeigt: die Wirkung der Hamburger Schule war enorm, trotz ihrer regionalen Begrenztheit. Wobei auch das nicht ganz stimmt. Viele Bands oder ihre Mitglieder stammten aus ländlichen oder kleinstädtischen Regionen. Hamburg wurde zum Ort des Ausbrechens aus den kleinbürgerlichen Strukturen. Ein großer Verdienst des Buchs ist es, Bands aus der Vergessenheit zurückzuholen und die Leser zu ermutigen, sich mit ihnen zu befassen. Die heutigen Streamingdienste erleichtern das enorm. Da wären u.a. zu nennen: Cpt. Kirk &., Kolossale Jugend, Huah! Und quasi als Geburtshelfer der Hamburger Schule „Die Antwort“. Neben dezidierten Textanalysen kommen auch politische Aspekte im Buch zu Wort. Im Dezember 1992 gründete sich in Hamburg ein sogenannter „Wohlfahrtsausschuss“ als Reaktion auf die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Auch wenn sich das Konzept als politischer Fehlschlag erwies, schärfte er doch das inhaltliche Profil vieler Bands. Trotz des antikapitalistischen Ansatzes – oder vielleicht grade deswegen – gelang es bands wie Blumfeld, Die Sterne oder Tocotronic mit diesem Diskurspop eine erfolgreiche Indiestruktur zu gründen, die zahlreiche Nachfolgebands hervorbrachte. Einen wichtigen Aspekt betont Engelmann in seinem Buch. Die Hamburger Schule war eine überwiegende Männergesellschaft. Frauenbands wie „Die Braut haut ins Auge“ um Bernadette La Hengst nur eine Ausnahmeerscheinung. La Hengst kritisiert im Interview auch das Konkurrenzdenken und die „Soziale Überwachung“ in der Hamburger Szene der damaligen Zeit. Sehr schön die dem Band angehängten 17 Plattenkritiken zu angesagten Gruppen der damaligen Hamburger Szene. „Der Text ist meine Party“ ist ein hochinspirierendes Buch über das Phänomen “Hamburger Schule“, gespickt mit vielen überraschenden Einblicken und neuen Namen. Das die Bands sich in die Popgeschichte dieses Landes einschreiben konnten, ist wohl hauptsächlich den zahllosen damaligen Fanzines und dem Zentralorgan „Spex“ zu verdanken.
„Der Text ist meine Party“ von Jonas Engelmann ist erschienen im Ventil Verlag und kostet 25€. ISBN 9783955752118
Text: Ulf Engelmayer
Bewertung ****